Da war er: Der erste und einzige Test auf meinem Weg zum Marathon unter drei Stunden. Er passte perfekt in den Zeitplan, denn noch habe ich acht Wochen Zeit, um ein wenig an meinem Trainingsplan zu feilen, Kleinigkeiten zu korrigieren oder auszubauen oder eben mein Ziel komplett zu verwerfen. Mein Ziel war es, den Halbmarathon in 1:25 zu laufen, im Idealfall sogar schneller. Auf jeden Fall wollte ich unter 1:30 bleiben, eine neue Bestzeit von 1:29:00 wäre unter den aktuellen Voraussetzungen nur ein Trostpreis gewesen.
Heute will ich gar nicht so sehr vom drum herum, von den Erlebnissen und Begegnungen am Rande des Laufes sprechen. Da ich immer noch am Resümée des Grüngürtel Ultra arbeite, möchte ich mich hier nur auf meinen Lauf beschränken. Es war toll, die vielen bekannten Gesichter vor und nach dem Lauf zu treffen und hier und da einen kurzen Schnack zu halten. Herzlichen Glückwunsch an alle FinisherInnen!
Schon vor dem Start war ich ziemlich konzentriert und auf das Rennen fokussiert. Beinahe wäre ich in die falsche S-Bahn gestiegen, habe es aber noch rechtzeitig bemerkt. Je näher ich mit der Bahn in Richtung Stadion kam, desto mehr Läuferinnen und Läufer stiegen zu und meine Anspannung stieg. Am Stadion angekommen machte ich mich schnurstracks auf den Weg in die Katakomben, stelle mein Gepäck dort ab und ging wieder hoch. Ein wenig wollte ich mich vor dem Lauf aufwärmen, die Muskeln sollten gelockert werden und der Kreislauf in Schwung kommen. Kaffee hatte ich schon daheim und auf dem Weg zum Stadion getankt.
Der Start rückte näher, ich ging in den Startblock und reihte mich relativ weit vorne ein. Nur knapp 5 Meter hinter der Startlinie wartete ich darauf, dass es los ging. Zwischen mir und der Startlinie waren nur noch ein paar wenige Läufer und das Elitefeld. Wird ja doch ganz schön dünn hier,
dachte ich mir. Aber als ich den Ballonläufer für 1:25 neben mir sah, dachte ich mir: Okay, das passt ja doch irgendwie.
Auf los ging es los und ich reihte mich nah des Ballonläufer-Paares ein. Zu dicht wollte ich an den beiden auch nicht laufen, denn um die Ballonläufer herum bildet sich immer eine kleine Menschentraube. Das ist mir ein wenig zu eng und die Mitläufer gucken auch oft nur auf den Ballon und nicht, wohin sie laufen. Zumal auf den ersten beiden Kilometern beim Frankfurter Halbmarathon die unsägliche Unterführung mit einer 180- und kurz darauf zwei 90-Grad-Kurven kommt und die Wege noch relativ schmal sind.
Gefühlt ging es bis zur ersten Abzweigung in den Wald nur im Zuckeltempo. Als ich dann aber beim ersten Kilometer auf der Uhr die Runde nahm, stand da tatsächlich 3:58. Auch der zweite und der dritte Kilometer flogen mit 3:58 vorbei. Als es dann wieder zurück in die Stadt ging, spürte ich allmählich, dass das Tempo anstregend wurde. Ich begann daran zu zweifeln, ob ich es noch die nächsten 18 Kilometer tragen könnte – und ob ich das auch noch 38 Kilometer weit tragen könnte und wollte.
Der Ausblick auf den ersten Verpflegungspunkt riss mich aus den Gedanken. Ich nahm schnell das erste Gel und spülte es mit etwas Wasser runter. Einen zweiten Becher Wasser goss ich mir über den Kopf. Zwar versteckte sich die Sonne hinter den Wolken und ich lief das erste mal in Kurz-Kurz, aber ich dachte mir, dass etwas zusätzlich Kühlung nicht schaden würde.
Als ich am Mainufer angelangt war, nahm ich unbewusst ein oder zwei Schritte Tempo raus. Vielleicht war es auch Gegenwind, aber ich kam so langsam in einen Rhythmus, der sich für mich gut anfühlte. Als es dann jedoch bei Kilometer 10 über die erste Zwischenzeitmatte ging, war ich schon ganz schön platt. Meine Uhr zeigte etwas mehr als 40 Minuten an, aber ich wusste, dass ich das Tempo nicht mehr lange so hoch halten können würde. In Aussicht auf den nächsten Verpflegungspunkt nahm ich eine Salztablette, um möglichen Krämpfen vorzubeugen. Ich war nämlich meinem Limit sehr nah.
Meine kleine Krise verschärfte sich weiter und in mir wuchs langsam die Befürchtung, dass sich dieses Rennen zu einem Desaster entwickeln könnte. Zwar brachte ich immer noch einen Schnitt von nicht ganz 4:05 min/km auf die Strecke, aber der wurde Meter für Meter anstrengender. Ich hätte gerne meinen Puls kontrolliert, um mehr Informationen zu haben und den Rest des Rennverlaufs abzuschätzen, jedoch hat heute genau diese Messung erneut versagt.
Ich sagte mir einfach Komm, eine Stunde lang wirst du das Tempo sicher durchhalten können. Und dann sind es ja nur noch 6 Kilometer bis ins Ziel.
Gesagt, getan. Ich wurde aber unweigerlich langsamer. Den dreizehnten Kilometer schaffte ich nur noch 4:15 Minuten, den vierzehnten in 4:10. Das war zwar das richtige Tempo für den drei Stunden Marathon, aber passte mir heute nicht so richtig in den Kram. Ich schrieb die 1:25 ab und versuchte, das beste aus dem Rest des Laufes zu machen.
Den Verpflegungsstand bei Kilometer 15 nutzte ich, um kurz durch zu atmen. Ein Gel vorweg, einen Becher Wasser und einen halben Becher Iso nahm ich im Gehen zu mir. Es ist irgendwie jedes Mal beim Frankfurter Halbmarathon genau diese Stelle, an der ich eine Gehpause mache. Vermutlich liegt es an dem Höhenunterschied, den man nach den S-Bahn Gleisen wieder hoch muss. Das sind zwar nur 4 oder 5 Meter, aber wenn ich am tiefsten Punkt der Unterführung bin und dann dort hoch schaue, denke ich mir jedes Mal Och nee, ne! Das ist jetzt nicht euer Ernst.
Nach der Verpflegung lief ich wieder an und fand schnell in mein Tempo zurück. Erstaunlicherweise fühlte sich das jetzt gar nicht so schlimm an. Ein paar hundert Meter weiter fing aber mein Magen kurz an, sich umzudrehen. Nee, nicht das jetzt auch noch!,
dachte ich mir. Ich wurde für zwei, drei Schritte etwas langsamer, rülpste einmal vor mich hin so leise es ging, und dann war wieder gut. Ich konnte beschwerdefrei weiter laufen.
Auch das Tempo war mit 4:05 min/km war für mich wieder akzeptabel. Durch den kurzen Boxenstopp hatte ich fast eine Minute zusätzlich auf die 1:25 verloren und lag nun knapp 70 Sekunden hinter meinem Zeitziel. Meine Uhr zeigte mir an, dass ich mit 3:45 weiter laufen müsste, um das noch zu erreichen. Auf gar keinen Fall! Das wäre Sterben mit Anlauf.
Kurz nach der letzten 180-Grad-Wende kam das Schild mit der 17 drauf. Nur noch 4 Kilometer, das wäre doch gelacht!
Nur eine Verletzung hätte mich jetzt noch davon abhalten können, schneller als 1:30 zu laufen. Auch 1:27 waren mir sicher, wenn ich das Tempo bis zum Schluß halten würde, dessen war ich mir sicher. Meine Uhr schätzte die Zielzeit auf 1:26:25. Ich schöpfte neuen Mut und lief einfach in meinem Rhythmus weiter. Das war auf einmal gar nicht mehr so schwer. Entweder war es das Gel, das ich wenige Minuten zuvor genommen hatte, oder die Aussicht auf die lang gezogene Gerade, die leicht bergab ging.
An dieser Stelle versuchte ich nicht, mich zu bremsen um so wieder ein paar Kraftreserven aufzufüllen bzw. aufzusparen. Ich nutzte das Gefälle und ließ Rollen. So kam nochmal ein Kilometer in 3:58 zustande. Jede Sekunde, die ich hier gewinnen würde, wäre ich am Ende der 1:25 näher. Denn was soll nach Kilometer 19 noch kommen?
Ach ja, die Brücke über die Bundesstraße hinter dem Parkplatz. Nun, die wenigen Läufe mit Höhenmetern, die ich bisher hatte, haben sich direkt bezahlt gemacht. Ich nahm mein Tempo raus, schaltete zwei Gänge zurück und trabte den Anstieg hoch. Gefühlt lief ich in Zeitlupe. Der Mitläufer, den ich kurz zuvor überholt hatte, schoß an mir vorbei. Er hatte wahrscheinlich den 131. Platz in der Gesamtwertung in Aussicht gehabt und wollte den wieder haben. Zweihundert Meter später, als es hinter der Brück wieder leicht bergab ging, schoss ich an ihm vorbei, während er gerade damit kämpfte, seine Lunge in der Brust zu behalten.
Die letzten 1.500 Meter waren ein Klacks. Ich war gut drauf, lief einfach weiter und machte mir keinen Kopf mehr. Die 1:30 hatte ich locker im Sack, die 1:25 schon vor zwanzig Minuten abgehakt, eine neue Bestzeit würde es auf jeden Fall, sogar deutlich, der Rest war eh egal. Die Zeit würde super werden!
So überquerte ich nach 1:26:24 (laut vorläufiger Ergebnisliste) die Ziellinie und war glücklich und auch ein wenig stolz.
Gemessen daran, wie es mir hinterher ging muss ich aber leider sagen: Da wäre schon mehr drin gewesen! Ich war so gar nicht wirklich kaputt oder zerschossen. Schade, dass ich bis Kilometer 15 so nah an den 1:25 dran war, aber dann am VP mir so viel Zeit lassen musste. Aber vielleicht hätte ich nicht so schnell weiter laufen können, wenn ich mir diese Pause nicht gegönnt hätte – wer weiß das schon.
Für den Marathon in unter drei Stunden bin ich nach diesem Halbmarathon deutlich zuversichtlicher. Ich weiß jetzt, dass ich das Renntempo über die Hälfte der Strecke halten kann. Sicher wäre heute auch noch zwei, drei Kilometer mehr mit dem Tempo drin gewesen. Und das, obwohl ich mir meinen Trainingsplan ganz allein gestrickt und gebastelt habe! In den acht oder neun Wochen bis Würzburg werde ich jetzt nur noch an der Tempohärte / Tempoausdauer feilen müssen, um die Geschwindigkeit über eine längere Distanz halten zu können.
Oh man, ich kann es immer noch nicht ganz fassen: Ich bin in der ersten Stunde fast 15 Kilometer weit gelaufen, 15 km/h!!!! :-D