Stell dir vor du gehst wandern. Mit Freunden, die du noch nicht kennst, mit Verrückten, Bekloppten, Verschrobenen und Idioten, die sowieso immer irgendwie dabei sind und auf ihre eigene Art und Weise doch ganz liebenswürdig sind. Stell dir vor, ihr seid verkleidet als Läufer und habt alle eine Startnummer vorne, oder hinten, oder an den Rucksack angebracht. Und jetzt stell dir vor, dass du so fast den ganzen Samstag lang verbringst: Draussen an der frischen Luft, in der Natur, auf Wegen und Pfaden, die du bisher nicht oder nur zum Teil kanntest.

Eine Mischung aus Gleichgesinnte treffen, sportlicher Betätigung und Abenteuer-Kurzurlaub – so ungefähr stelle ich mir einen Ultramarathon vor. Und Wunder was: Genau so war es beim G1 Grüngürtel Ultramarathon in Köln!

Dabei ist auswärts zu laufen ist immer eine besondere Herausforderung. Das fängt bereits bei der Anmeldung zum Lauf an. Da kommt dann noch eine Unterkunft dazu, eine Reise mit der Bahn oder dem Mietwagen. Dann muss die Tasche entsprechend vorher gepackt werden, ohne dass ich genau weiß, welches Wetter mich erwartet. Die Vorfreude fängt also schon ein paar Tage früher an, als wenn ich mich hier einfach morgens in die S-Bahn setze und zu einem Volkslauf in der Gegend aufbreche.

Hier geht’s los, hier geht’s zuende.

Facebook bringt einen manchmal auf bekloppte Ideen

Als ich auf der Facebook-Seite des G1 Grüngürtel-Ultramarathons sah, dass es noch ein paar letzte freie Startplätze gab, war mir schnell klar, dass Kerstin und ich daran teilnehmen würden. Beide sind wir bisher noch nie weiter als die 50 Kilometerdistanz in Rodgau gelaufen. Aber wir beide haben den Rennsteig-Supermarathon mit 73 Kilometern (und ein paar Höhenmetern) ende Mai auf dem Plan. Zwar haben wir uns vorgenommen, bis dahin mindestens einmal den Frankfurter Grüngürtel Radwanderweg im Training zu laufen, der ebenfalls etwa 63 Kilometer lang ist, aber diese Gelegenheit in Köln war fast noch besser. Denn immerhin ist es ein organisierte Lauf, bei dem es zwischendurch eine Verpflegungsstelle gab. Zumal der Zeitpunkt Ende Februar auch einfach besser lag. Denn so war die Strecke weit genug vom eigentlich Ziel, in Hamburg und Würzburg die Boston-Marathon-Qualifikationszeit zu laufen. Mit der Regeneration ist das ja immer so eine Sache – wir beide wussten nicht, wie gut wir solch einen langen Lauf weg stecken würden.

Nur bei grün über die Straße.

Wir wussten auch nicht so recht, was uns auf und mit dieser Distanz erwartet. Zwei Mausklicks und eine E-Mail später waren wir für das kleine Mini-Abenteuer rund um Köln angemeldet. Ein Hotelzimmer und eine Bahnfahrt waren schnell gefunden, so stand dem langen Lauf auch fast nichts mehr im Wege. Lediglich das Wetter bereitete uns bis zuletzt Kopfzerbrechen. Wir wollten auf keinen Fall zu viel Laufklamotten einpacken, geschweige denn auf dem lauf mitnehmen. Aber ich bin eine Frostbeule und ziehe lieber etwas zu viel an, als zu wenig. Wir entschlossen uns, Laufbekleidung für kalt und sehr kalt mitzunehmen – und haben damit gar nicht so viel verkehrt gemacht.

An diesem Tag waren es morgens 4 Grad unter null. Im Verlaufe des Vormittags sollten es aber 6 Grad plus werden und die Sonne raus kommen. Also entschieden wir uns für die mittel-kalt Variante an Bekleidung und nahmen noch jeweils eine dünne, winddichte Jacke mit. Die könnten wir gegen das etwas dickere Oberteil tauschen, wenn es notwendig würde. Mir machte besonders der drohende Wechsel zwischen den warmen Abschnitten in der Sonne und den kalten, schattigen, windigen Abschnitten ein wenig Angst. Die Vorstellung, während des Laufs dauernd Klamotten an- und auszuziehen gefiel mir ganz und gar nicht!

Das erste mal über 50

Unser Hotel lag rund zwanzig Minuten Fußweg vom Start entfernt. Wir hätten zwar eine Station mit der Bahn fahren können, aber sagten uns: Auf die paar hundert Meter kommt es bei 63 Kilometern auch nicht mehr an. Glücklicherweise brachen wir spät genug auf, um im Frühstücksrestaurant des Hotels noch eine Kaffee zum mitnehmen zu bekommen, aber rechtzeitig genug um pünktlich am Start zu sein.

Kurz vor dem Start lauschten alle dem Briefing.
Die Startnummernausgabe verlief ziemlich unhektisch. Mich beschlich – wie bei jedem Lauf – schnell das Gefühl, zu spät zum Start zu kommen. Bei den knapp 100 Teilnehmern hatten wir jedoch im Handumdrehen unsere Nummern. Hinzu kam, dass die Helfer bei der Startnummernausgabe sehr relaxt und freundlich waren. Bei der Gelegenheit hatte ich für Kerstin und mich gleich ein paar Erinnerungsstücke gesichert, die ich nach dem Lauf abholen kommen würde.

Die letzten paar Minuten, bevor es ernst wurde, verbrachten wir Gedankenversunken damit, unsere Sachen zu sortieren und uns für den Lauf umzuziehen. Als Thorsten, der Organisator des Laufs, dann zum Briefing rief, stieg langsam meine Anspannung. Aber auch er war super entspannt, erzählte die Geschichte, wie es überhaupt zu diesem Lauf gekommen war und verbreitete keine Hektik, pünktlich um 8 Uhr den Startschuß zu geben. Vielmehr wies er darauf hin, wie wir die Strecke finden würden und dass wir doch bitte die Straßenverkehrsordnung berücksichtigen mögen. Er hat für diesen Ultralauf und auch für die Kölnpfad-Läufe bisher noch keine Auflagen der Stadt bekommen. Es müssten für die Läufe keine Straßensperren, Ordner o.ä. abgestellt werden und das sollte bitte auch so bleiben. Denn die Kosten hierfür würden den Organisationsbeitrag ordentlich in die Höhe treiben. Selbst ich als Neuling habe gemerkt, dass Thorsten so einiges an Erfahrung im Ultralaufen und -organisieren hat. Denn er gehört mit zum Organisationsteam des Kölnpfad Ultra.

Der Weg ist sehr gut ausgeschildert. Wenn ihr nach einer Abbiegung nach 200 Metern noch kein Schild mit dem G1-Logo gesehen habt, dann dreht wieder um.

Interessant war auch, dass wir Läufer in zwei Gruppen aufgeteilt wurden: Die gerade Startnummern liefen den Kölner G1 Grüngürtel-Wanderweg in die eine Richtung, die ungeraden Startnummer in entgegen gesetzter Richtung. Diese merkwürdige Einteilung fand ich für die Spannung ob des Rennausgangs gar nicht schlecht. Für die Führenden war das bestimmt ein besonderer Nervenkrimi, denn die wussten erst wie weit sie vorne lagen – oder auch nicht – wenn ihnen der bzw. die Führende der anderen Gruppe entgegen kam. Da ich aber keine Zeitambitionen hatte, war mir persönlich das recht schnuppe. Hinterher denke ich mir aber: Vielleicht war diese Aufteilung auch für das Genehmigungverfahren sinnvoll. Denn so waren mit Sicherheit nie mehr als 50 LäuferInnen in eine Richtung unterwegs. Das ist im Grunde genommen eine große Laufgruppe eines Lauftreffs. Und da bei einer solch langen Distanz sich die Grüppchen recht weit verstreuen, waren am Ende immer nur eine handvoll beisammen. So würden weder Spaziergänger noch Gassigänger, Rad- oder Autofahrer wirklich beeinträchtigt.

Auf Los! geht’s los

Kurz vor dem Start hielt Thorsten sein Briefing ab.
Nachdem Thorsten seine Ansprache mit Glückwünschen beendete, schritt die große Wandergruppe in Richtung Start. Niemand machte irgendwelche Anstalten, dass der offizielle start knapp 10 Minuten zu spät begann, selbst ich als notorischer Nörgler war ganz gelassen. Die übliche Anspannung vor einem Rennen war irgendwie verflogen. Selbst das Betreten des Neulands einer Distanz von deutlich mehr als 50 Kilometer bereitete mir kaum noch Kopfzerbrechen. Wir hatten 10 Stunden Zeit, um ins Ziel zu kommen und es machte nicht den Eindruck als ob um 18 Uhr die Türen verschlossen würden. Selbst wenn Kerstin und ich den Marathon in sehr lockerem Tempo liefen, hätten wir für den anschließenden Halbmarathon noch gut und gerne fünf Stunden Zeit. Da ist dann aber schon eine halbe Stunde Pause am Verpflegungspunkt einkalkuliert. Es gab also keinen Grund zur Beunruhigung.

Die rund 100 StarterInnen setzen sich in Bewegung.
Nach einem Countdown und einem lauten Los! von Thorsten setzte sich der Tross in Bewegung. Es dauerte keine 200 Meter, bis sich die Wege das erste mal trennten: Ein Teil der Laufgruppe bog links ab, Kerstin, ich und jede Menge anderer LäuferInnen liefen weiter gerade aus. Bis zur nersten Fußgängerampel dauerte es etwa fünf Minuten. Das Teilnehmerfeld blieb bis dahin weitestgehededn zusammen bzw. wurde hier wieder zusammengeführt.. Ich stellte mir kurz den Eindruck der Außenstehenden — oder besser: im Auto Sitzenden – vor, wie am Samstag Morgen um Viertel nach acht rund 50 Läufer und Läuferinnen an der Fußgängerampel stehen und auf grün warten, um dann gemeinsam die Straße zu überqueren. Ich glaube, diese Situation ist fast noch absurder, als wenn ich an einem sonntäglichen Morgen um halb acht vor den Betrunkenen und Zugedröhnten vorbei laufe, die nicht ins Robert Johnson rein kommen oder aus dem MTW raus geschmissen wurden. Ich musste kurz lachen. Oh, ich glaube, die denken jetzt ich bin verrückt. Naja, das sind ja alle hier irgendwie.

Die Ampel schaltete auf grün, die Gruppe setzte sich in Bewegung und von irgendwo her rief eine laute Stimme: Auf der anderen Seite genau in der gleichen Reihenfolge weiterlaufen wie ihr angekommen seid, hier wird auf keinen Fall überholt! Genau mein Humor, ob er Berliner ist?

Anfangs war unsere Tempogruppe noch recht groß.

Von dort an dauerte es nicht lang, bis sich das Läuferfeld auseinander zog. Ich schätze keine zehn Minuten später waren Kerstin und ich in einer Gruppe von rund 10 Leuten. Ich fragte mich eine Weile, ob das Tempo in Ordnung ist. Wir waren mit etwa sechs Minuten pro Kilometer unterwegs, was schon die Obergrenze dessen war, was wir anfangs laufen wollten. Wir hatten ja keine Ahnung! Wir wussten nicht, wie lang 63 Kilometer laufend zu Fuß sind, wie anstrengend das wird und was am Ende alles noch passiert. Denn ein altes chinesisches Sprichwort sagt: Die zweite Hälfte vom Marathon fängt bei Kilometer 30 an und ist doppelt so lang wie die erste. Wie soll das erst bei 63 Kilometern sein?

Blick auf den Kölner Dom vom Rand von Köln.

Die erste Hälfte verging wie im Flug

Heute machte Kerstin das Tempo. Sie musste mich bremsen. Denn wenn sie zu schnell lief und irgendwann nicht mehr kann, würden wir beide keinen Spaß mehr haben. Es hing also von ihrem Wohlbefinden ab. Zwar fragte ich mich immer wieder, ob das Tempo wirklich in Ordnung wäre, oder ob sie es nur lief, damit ich nicht zu langsam und unbeholfen über die Wege eiern müsste. Später – eigentlich viel zu spät – fragte ich dann doch danach – und es war vollkommen in Ordnung. Wir liefen in der Gruppe, die sich um dieses Tempo gefunden hatte. Und das ist dann doch noch mal irgendwie anders, als wenn man allein oder zu zweit läuft. Mal zieht der eine, mal zieht der andere und immer ist einer da, der sagt „nicht so schnell“ – und für alle ist das vollkommen okay.

Im Gänsemarsch voran.

In unserem Fall war es Thomas. Thomas war auch mit seiner Frau zusammen unterwegs. Und er musste aufpassen, dass sie nicht zu schnell lief. Und er passte auf, dass sie auf der richtigen Strecke liefen. Und damit hatte er sich, obwohl er das nicht wirklich erwähnt hatte sondern sich das erst im Verlauf des Laufes so herausstellte, gruppendynamisch ziemlich schnell in die Anführerposition bugsiert. Und Thomas läuft den Marathon in 3:15 – das fand ich persönlich sehr respektabel. Nicht nur, weil ich bisher nur ein einziges Mal schneller war. Sondern weil er sonst wohl fast ausschließlich mit seiner Frau zusammen trainiert.

Grundlage bräuchten sie ja nicht zu trainieren, das machen sie ja sowieso für die ganzen Ultras. Einmal im Jahr suchen sie sich einen Marathon, den sie auf Zeit laufen. Da reichen dann auch acht bis sechs (!) Wochen spezifisches Tempotraining für aus um … 3:15 zu laufen. Okay, ich geh dann mal hinter den Busch kurz heulen, dachte ich mir. Habe ich dann aber gelassen, hätte wohl komisch ausgesehen. Aber von der allgemeinen Trainingslehre hat er ja vollkommen recht!

Der 16 Wochen Marathonplan geht ja nur über 14 Wochen Training, weil 2 Wochen Tapering noch hinten dran hängen. In den 14 Wochen sind schon 2 Wochen Ausfall für Krankheit, Urlaub oder ähnliches „einkalkuliert“. Macht also nur 12 Wochen Vorbereitung. Und dass dafür 4 Wochen für Grundlagenausdauer draufgehen, kann ich mir bei den vorgefertigten Plänen aus der Konserve durchaus vorstellen. Denn so ein Trainingsplan aus dem Buch ist ja auch immer ein ordentliches Stück „mit Kanonen auf Spatzen schießen“. Denn damit der funktioniert, ist ein bisschen was von allem dabei. (Grundlage/Ausdauer, Tempo/Vo2max, Tempohärte/Laktatstoffwechsel)

Während wir also in unserer kleinen Lauf-Gruppe Schritt für Schritt dem Ziel entgegen liefen, schaffte Thomas, uns alle bei Laune zu halten. Er erklärte uns, dass der Kölner Grüngürtel aus den alten Festungsanlagen entstanden ist, die nach dem Versailler Vertrag abgerissen wurden mussten. Die ganzw Story dazu kannst du bei Wikipedia nachlesen.

In der Mitte war Mittagspause

Wir liefen und liefen und liefen und alles klappte ganz super. Nach etwa drei Stunden kamen uns die Führenden der Gegenrichtung entgegen. Wow, nicht schlecht, dachten wir. Zumal es nur noch wenige Kilometer bis zum Verpflegungspunkt waren. Dort deckten wir uns alle ordentlich ein. Und während ich noch dabei war, meine Trinkblase aufzufüllen, machte Thomas schon wieder los. Ich schickte Kerstin mit, denn so lange würde ich nicht mehr brauchen und die Gruppe dann einholen. Ich gönnte mir dann auch noch eine Laugebrezel, als ich wenige Minuten später den Verpflegungspunkt wieder verließ. Die aß ich dann erst mal im Gehen, um nicht allzu viel Strecke auf die Gruppe zu verlieren.

Auf dem Weg zu Ihnen habe ich mich doch fast zwei mal verlaufen, konnte aber schnell den Weg wieder finden. Und da waren Sie nur noch zu dritt. Also bestritten wir die zweite hälfte des G1 Grüngürtel als Doppel-Päarchen. War auch ganz nett, wir konnte uns kennenlernen und haben viel gequatscht und ab und zu auch geschwiegen.


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Trotzdem hatte ich später einen kleine Durchhänger. Ich nahm einen Schokoriegel und ein Gel und dann ging es wieder besser. Aber leider waren die Mülleimer auf dem Grüngürtelwanderweg ziemlich weit auseinander.

Kurz vor Schluß kam trafen wir uns dann wie verabredet mit MeckyCaro, die uns auf den letzten rund 13 Kilometern begleitete.

Und dann war der schöne und liebevoll organisierte Lauf auch bald vorüber. Schade, hat wirklich Spaß gemacht. Und das Beste: Statt Medaillen gab es ein wirklich kreatives Erinnerungsstück zum Finish. Was bleibt, sind eine Hand voll Erinnerungsstücke und ein paar Erinnerungsfotos. Und der Rennbericht zum G1 Grüngürtelultra von Thomas.


https://www.facebook.com/runningrobffm/photos/a.1849545871943140.1073741829.1833239710240423/2069874676576924/

Alle Fotos von unserem G1 Grüngürtellauf

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