Ein Finisher-Foto, das spaltet. Nicht nur die Hobby-Läufergemeinde, sondern scheinbar die ganze Nation. Es wird gejubelt, gespottet, geschimpft – über ein Zwillings-Päarchen, das Hand in Hand die Ziellinie überquert. Bei der ganzen Diskussion geht die wahre Heldin des 2016er Olympia-Marathons komplett unter: Anja Scherl. Ich finde es überfällig, dass auch sie ihre Würdigung erfährt.

Die Heldin aller Hobby-Läufer heißt Anja Scherl

Leider geht ihre Leistung beim olympischen Marathon in Rio bei der ganzen Diskussion unter. Mit einer Spitzenzeit von 2:37 hat sie den 44. Platz erreicht und ist damit als beste Deutsche ins Ziel gekommen. Die wirklich große Leistung dahinter ist, dass sie dieses Ziel erreicht hat, obwohl sie keine Berufs-Läuferin ist. Nein, sie geht, wie die meisten von uns, jeden Tag ganz normal arbeiten. Sie verdient ihre Brötchen nicht mit dem Sport und dem ganzen Vermarktungsirrsinn, der da hinten dran steckt.

Im Wesentlichen hat sie unter den gleichen Bedingungen wie wir HobbyläuferInnen trainiert: vor und nach der Arbeitszeit und eventuell auch in der Mittagspause. Ich möchte nicht wissen, wie viele Wochenenden Anja Scherl für ihr Ziel, in Rio den Marathon zu laufen, geopfert hat. Sicher hatte Anja, wie wir, stressige Phasen in ihrem Job und musste Abstriche bei ihrem Training machen.

Anja Scherl hochkonzentriert vor dem Halbmarathon der Leichtathletik Europameisterschaft 2016 in Amsterdam.
Anja Scherl hochkonzentriert vor dem Halbmarathon der Leichtathletik Europameisterschaft 2016 in Amsterdam.

Bei ihrem Vorhaben war sie genau wie wir auf den Rückhalt ihres familiären Umfelds, ihrer Kollegen und ihres Chefs angewiesen. Sie wird ihr Alltags-Leben um das Laufen herum organisiert haben – und war dabei ganz offensichtlich erfolgreicher als die meisten von uns.

Anja hat unter fast genau den gleichen Umständen wie wir HobbyläuferInnen das erreicht, wovon wir (wenn dann nur heimlich) alle träumen: Ein „ganz normales Leben“ zu führen und trotzdem (oder deshalb?) unter den Profi-Sportlern mit zu mischen. Am Ende durfte sie sogar unser Land bei den olympischen Spielen 2016 in Rio vertreten.

Danke, Anja

Unter diesen Voraussetzungen finde ich die Leistung von Anja nicht nur wesentlich bemerkenswerter als jedes Zielfoto eines Zwillings-Päarchens, das hauptberuflich Läufer ist und fast zehn Minuten später ankommt. Die Zielzeit von 2:37 und der 44. Platz sind genau deshalb umso beachtlicher, auch wenn allein ihre Teilnahme an den olympischen Spielen selbst schon herausragend genug ist. Und das unter den gleichen Bedingungen, die wir auch haben – ein gewisses „Lauf-Talent“ lasse ich jetzt mal absichtlich unberücksichtig. Sie hat mir und (hoffentlich) allen anderen HobbyläuferInnen gezeigt, dass es machbar ist, dies zu schaffen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle sagen:

Danke, Anja! Danke, dass du mir und allen anderen laufbegeisterten Hobby-LäuferInnen gezeigt hast, was wir erreichen können wenn, wenn wir ans uns und unsere Ziele glauben, wir dran bleiben und immer unser Bestes geben.

Ich wünsche mir, dass du dein Niveau noch ganz lange so hoch halten kannst. Dass du den Vollzeit-Sportlern an der Spitze zeigst, dass auch ein „Normalo“ wie du und ich zu durchaus konkurrenzfähigen Höchstleistungen fähig sein können. Ich hoffe, dass du in Zukunft die Beachtung erfährst, die du verdienst – sofern du das überhaupt möchtest. Ganz besonders weil du ein ganz normales Leben führst, bei dem der Sport nur einen Teil ausmacht.

Ich glaube, dass du mit deinem Erfolg noch sehr viele Hobbysportler motivieren kannst, ihrer Leidenschaft nach zu gehen und nie den Glauben an sie selbst und ihre Ziele zu verlieren.

Das nächste mal, wenn ich wegen Wetter, schlecht geschlafen, langer Tag im Büro, keine Lust oder irgend einem anderen Mimimi nicht laufen gehen will, denke ich einfach an dich.

Ein Kommentar

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.